Wednesday, October 12, 2011

Agile RE Blog 3: Requirements Engineering ist Wissensarbeit

Nun zum Thema Agilität: Organisationen verfolgen unter dem Stichwort Agilität typisch die Ziele einer verkürzten Time to Market und der verbesserter Flexibilität gegenüber Änderungen im Geschäftsmodell durch äußere oder innere Einflüsse. Wenn wir auf die bisherigen Erkenntnisse reflektieren, so ist eine wichtige Maßnahme den Wissenserwerb und den Wissenserhalt effizient zu gestalten. Einzelne konkrete Maßnahmen dazu stehen schon im agilen Manifest, das seit 15 Jahren auf dem Internet zu finden ist. Wir erinnern uns:
  • Individuals and interactions over processes and tools
  • Working software over comprehensive documentation
  • Customer collaboration over contract negotiation
  • Responding to change over following a plan
Neben anderen Zielen (das agile Manifest entstand aus dem Bestreben den Mensch, anstatt den Prozess, in den Mittelpunkt zu stellen) adressieren diese Maßnahmen genau das Ziel den Lernprozess im Team zu optimieren, um die Wissenslücken des komplexen Problems zu erarbeiten und zu füllen. Interessant ist diese einmal andere Sicht auf das agile Manifest.

Nun ist es notwendig den viel verwendeten Begriff „Wissen“ im Kontext der Arbeitswelt zu verstehen, denn Requirements Engineering beschäftigt sich wesentlich mit dem Aufbau von Wissen im Unternehmen Interessante Fragen sind:
  • Was ist denn Wissen eigentlich?
  • Wie manifestiert sich Wissen in einer Organisation?
  • Und zur Unterstützung der taktischen und operativen Ebene im Unternehmen: Kann Wissen geschaffen, bewahrt und konserviert werden und wenn ja, wie?
Wissen im Kontext der Arbeitswelt wird nach aktueller Auffassung (siehe [Wiki-1] und [HDM-1]) über drei wesentlichen Eigenschaften definiert und in zwei Formen eingeteilt. Die drei Eigenschaften von Wissen sind:
  1. Es sind dazu  INFORMATIONEN als Wissensinhalte miteinander zu vernetzen und zugänglich zu machen
  2. Es gilt einen NUTZEN aus dem Wissen zu ziehen, das bedeutet das Wissen ANZUWENDEN
  3. Wissen hat nur eine Bedeutung in einem SOZIALEN KONTEXT, in dem das Wissen zur Verfügung gestellt wird. Das Wissen hat somit nur in einer Gruppe von Menschen eine Bedeutung, die in einem gemeinsamen Kontext, wie zum Beispiel in einem Projekt, stecken.
Abbildung 5: Die drei wesentlichen Eigenschaften von Wissen
Die existieren zudem zwei Formen von Wissen:
  1. Explizites Wissen: Wenn eine Person klar und strukturiert, wie eine Formel oder ein Beweis, eine Antwort auf eine Frage- oder Problemstellung geben kann, dann handelt es sich um explizites Wissen
  2. Implizites Wissen: Wenn eine Person eine (zumeist korrekte) Handlung oder Entscheidung trifft, deren Herleitung sie nicht eindeutig und klar beschreiben kann, eventuell nicht einmal die Hintergründe der Handlungsweise aufzeigen kann. Beispiele dazu sind vielfach vorhanden und belegt, so etwa Diagnosen von Ärzten anhand von Krankheitsbildern und Symptomen, die keinen direkten Rückschluss erlauben.
Implizites Wissen wird oft auch als Bauchgefühl oder Intuition bezeichnet. Der Begriff des impliziten Wissens ist anerkannt und kann belegt werden (siehe Abbildung 6).

Es werden deutlich mehr Entscheidungen und Handlungen über implizites Wissen abgewickelt, als wir vermuten würden. Das ist auch gut so, das genau ist nämlich ein Grundpfeiler für Effizienz. Eine korrekte implizite Handlung oder Entscheidung steigert die Effizienz. Es müssen nicht erst Informationen aufgenommen und analysiert werden und mittels eines expliziten Wissens daraus Schlüsse gezogen werden. Dieser explizite Prozess würde zwar oft funktioniere, er ist jedoch bei weitem weniger effizient. In vielen Fällen würde der explizite Prozess auch nicht funktionieren, da es nicht gelingt die Entscheidungsfindung oder Handlungsmotivation zu beschreiben, da die herangezogenen (impliziten) Kriterien selbst dem Fachmann nicht im vollem Umfang bewusst ist.
Gott sei Dank beherrschen wir als Menschen den Umgang mit implizitem Wissen, stellen Sie sich vor, Sie müssten vor jeder Email, die Sie schreiben eine Anleitung herausholen. Dieser Anleitung entnehmen Sie die korrekte Anrede, anschließend Textbausteine zur Einleitung in das Thema, Textbausteine zur Beschreibung ihres Problems (hier wird es schon schwer) und dann noch den Textbaustein für die Abschlussformel und so weiter... Ich nehme an nach 10 Emails würden Sie streiken... Nun gut, es gibt Leute, die damit ihren Tag füllen…
  
Abbildung 6: Implizites Wissen (=Bauchgefühl) ist ein Fakt und wertvoll
Nehmen wir ein konkretes Beispiel für das effiziente Wirken von impliziten Wissen aus dem Requirements Engineering: die Entscheidung über die Klassifizierung von Anforderungen, zum Beispiel welchen Abstraktionslevel eine Anforderung einnimmt (ist es ein Business Requirement, ein Produkt Requirement, ein User Requirement oder etwas technisches, ist es schon eine User Story oder doch eher noch ein zu verfeinerndes Epos).
 
Die im Kopf für diese Einteilung vorgenommenen Erfahrungen und Kriterien kann wohl niemand einfach ad hoc auf ein Papier schreiben. Stellen Sie sich vor, sie müssten mit einer Gruppe Experten einen Kriterienkatalog aufstellen, dessen Anwendung die Klassifizierung eines Requirement liefert. Einmal abgesehen, ob das Sinn macht, bestimmt würde in diese Selbstbeschäftigung ein Personenjahr Arbeit investiert werden, um überhaupt zu einem Konsens über die Kriterien zu finden. Dennoch sind solche
 
Entscheidungen bei Ingenieuren, die Requirements Engineering auf dem Level Experte beherrschen, hoch effizient, schnell und mit hoher Trefferquote. Entscheidungen dieser Art stehen in Projekte vielfach an – und das übrigens nicht nur im Requirements.
Die drei Eigenschaften von Wissen (siehe Abbildung 5) geben einem Team auch eine ganz neue Bedeutung und zwar aus der Sicht des Wissensmanagements.  Das wird Inhalt meines nächsten Blog Eintrages sein.

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